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Natur- und Erholungsflächen am Nonnensee

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, weshalb es immer schwer fällt sich von Gewohnheiten abzukehren und neue Dinge auszuprobieren. Viele Architekten und Planer verfallen schnell dem altbekannten Trend immer nur das neueste Projekt vorzustellen. Das Büro blfa thomas niessen blickt stattdessen voller Stolz auf vergangene Projekte zurück und erinnert gerne an diese. Wir begeben uns heute fast 5 Jahre nach Fertigstellung des Projektes „Natur- und Erholungsflächen am Nonnensee“ erneut gemeinsam dorthin und sammeln unsere Eindrücke.

Das arten- und strukturreiche Offenland, umgeben und durchsetzt von facettenreichen Habitatstrukturen, bildet am Ostufer des Nonnensees von Bergen auf Rügen den Grundstein für ein einzigartiges Mosaik vielfältiger Lebensgemeinschaften und Artenkulissen in der landwirtschaftlich bestimmen Kulturlandschaft Rügens. Im Jahr 2018 hat sich die Stadt Bergen auf Rügen entschlossen 17 ha aus der intensiven ackerbaulichen Nutzung zu nehmen und diese Fläche zu einer biodiversen Offenlandfläche mit eingestreuten Elementen der Kulturlandschaft zu entwickeln. Die Bereitschaft der Stadt Bergen auf Rügen, Biotopstrukturen zu schaffen, die in unserer Kulturlandschaft verlorengegangen sind, zeigt dass es möglich und notwendig ist, auch in Zeiten von wirtschaftlicher Stagnation, Artenvielfalt und landschaftsgebundene Nutzungen nachhaltig zu kombinieren und diese zu entwickeln.

Durch den Entzug dieser Flächen aus der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung, und dem damit verbundenen kompletten Verzicht auf Düngemittel sowie Herbi- und Pestizide, konnten die Böden wieder die nährstoffarmen Grundbedingungen herstellen, welche viele unserer heimischen blühenden Wildpflanzen benötigen. Die daraus entstandene Artenvielfalt schließt auch sogenannte „Verliererarten“ der Kulturlandschaft mit ein, darunter die Hundskamille, die Wiesenmargerite und die Wilde Malve, aber auch Tierarten, wie die Feldlerche, den Neuntöter und Wildbienen. Diese haben in den letzten Jahren unter der Intensivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft gelitten und wurden vermehrt von den Feldern verdrängt. Doch die Erhaltung dieser Arten ist maßgebend, um die ökologische Balance und das kulturelle Erbe der Insel Rügens zu bewahren. Sie erhöhen nicht nur die Anpassungsfähigkeit und Resilienz der Landschaft, sondern tragen auch zur Vorbeugung der Verbreitung von invasiven Arten bei und helfen somit die Einzigartigkeit der Kulturlandschaft zu erhalten.

Mittlerweile haben sich blütenreiche Offenlandflächen mit ihrer Pracht aus Glockenblumen, Malven, Margeriten, Reiherschnäbeln und vielen weiteren Blütenpflanzen aus einer Initialaussaat von 5g/m² sowie einem auf die Entwicklung von blüten- und ganzjährig strukturreichen Lebensräumen ausgelegten Bewirtschaftungsmanagement entwickelt und sind zu einem wertvollen und beeindruckendem Bestandteil unserer Heimat geworden. Vom Parkplatz kommend wird man direkt von einem aufragenden Besenginster am Beginn des Pfades in Empfang genommen. Lässt man dann den Blick über die offene Landschaft schweifen so sieht man ein Blütenmeer aus Sternmieren, Flockenblumen, Löwenzahn, Natternköpfen, Kornblumen, Klee und Wiesenmargeriten begleitet von einer Reihe an Gräser- und Kräuterarten, wie dem Wolligen Honiggras, dem Wiesen-Fuchsschwanz, dem Wiesen-Knäuelgras und dem Rispengras. Immer wieder stechen vereinzelt prächtige Farbsprenkel durch Mohn, Malven, Ochsenzungen, Schafgarbe, Glockenblumen, Fingerhut, Wicken und der hoch aufragenden Königskerze hervor.

Dies war lediglich unsere Wahrnehmung auf den ersten Schritten, denn dem Schotterrasenweg folgend sind mehr als 70 Blütenpflanzen, Gräser, Gehölze und Moose für den Betrachter erlebbar. Lässt man den Blick über die durch Lesesteinhaufen, Streuobstwiesen, Rohbodenflächen, Totholzhaufen und Gehölzstrukturen geprägte Landschaft schweifen, so kommt man nicht umhin die einzigartigen Facetten der Artenvielfalt wahrzunehmen. Diese Vielfalt wird bestimmt von Spezies, Formen und Farben, die jeden Betrachter auf kaum vergleichbare Weise in den Bann ziehen. Im Zuge nur einer Begehung wurden über 20 Vogelarten erfasst, darunter geschützte Arten wie der Neuntöter, die Feldlerche und der Sprosser sowie eine Vielzahl an Insektenarten. Wohin man auch blickt, es regt sich tierisches Leben. Und über allem kreist der Seeadler.

Die entwickelten blüten- und strukturreichen Offenlandbiotope bieten Nahrung und Lebensraum für zahlreiche Insekten, wie beispielsweise Wildbienen, Schmetterlinge, Laufkäfer, Spinnen und Heuschrecken. Dieses Insektenreichtum fördert an das Offenland angepasste Vogelarten sowie Fledermäuse. Dieser Effekt wurde bewusst zusätzlich durch die Anlegung von Habitatelementen für Insekten, Vögel und Kleinsäuger verstärkt.

Beidseitig des geschwungenen Pfades schließen sich im Wechsel verschiedenste Biotope und Habitatstrukturen an, die ein einzigartiges Landschaftsbild zeichnen. Die organische und der Natur entnommene Formsprache mit großen Schwüngen und Verzweigungen wurde so gewählt, dass sie sich in die Natur und Landschaft einfügt. Bestehende Strukturen wie Wälder und geschützte Biotope wurden integriert und erhalten. An vielen Stellen kann man den Blick in die Ferne schweifen lassen und erhält dadurch ein einmaliges Verbundenheitsgefühl mit der Insel Rügen.

Rohbodenflächen ohne Vegetationsdeckschicht wurden im Rahmen des Gesamtkonzeptes angelegt. Durchaus auffällig, aber keineswegs das Auge störend, liegen diese oft nahe der Wege und wenn man aufmerksamen Auges an diesen entlang geht, kann man mühelos eine Vielzahl an Spuren verschiedenster Klein- bis Großsäuger entdecken. Auf Rohboden spezialisierte Arten nutzen diese Flächen, um ihren Unterschlupf anzulegen oder, wie viele andere Arten auch, als Trittsteinbiotop.

Ganz ohne menschliches Zutun haben sich auf den Rohbodenflächen in nur 5 Jahren standortgerechte und umweltstabile Vorwälder in verschiedenen Sukzessionsstadien gebildet. Diese stellen einen wichtigen Bestandteil der natürlichen Waldentwicklung dar, welche, entgegen der sonst typischen artenarmen und ordentlich aufgereihten Forstwälder, sowohl Struktur- als auch Artenreichtum aufweisen. Diese Vielfalt stellt einen Kontrast zu den sonst so prävalenten Monokulturen der Forstwälder dar. Die aus sich selbst entstandenen Gehölzstrukturen, welche mehr als 20 unterschiedliche Gehölzarten, von der Brombeere über die Birke bis zur Stieleiche, umfassen, fördern die einzigartige Artenzusammensetzung und Struktur der Flächen.

Teilflächen mit blüten- und fruchttragenden Sträuchern sind noch umzäunt, um vor Wildverbiss zu schützen. Interessanterweise lässt sich jedoch erkennen, dass die Artenvielfalt der nicht eingezäunten und der umzäunten Flächen kaum Unterschiede aufweist. Im Hinblick auf die Strukturvielfalt unterscheiden sie sich jedoch maßgeblich, da diese bei den nicht eingezäunten Flächen mit Offenlandbereichen, temporär wasserführenden Flächen und weiteren Habitatstrukturen deutlich stärker ausgeprägt ist. Aufgrund häufiger Bodenstörungen durch Wildschweine finden sich verschiedene Sukzessionsstadien auf den zugänglichen Flächen, welche eine ausgeprägte krautige Pflanzschicht hervorgebracht haben.

Neben den natürlich entstandenen Gehölzflächen wurden heimische Gehölze und Streuobstwiesen aus regionalen und historischen Obstgehölzen, die eine wichtige Rolle für die Biodiversität spielen, in die Offenlandflächen eingewoben. Die gewählten Obstsorten tragen zum Erhalt, zur Entwicklung und zur Sicherung in Vergessenheit geratender Arten bei. Sie stehen für Regionalität, Robustheit, Verträglichkeit und vor allem für die Vielfalt der Kulturlandschaft.

Natürlich trägt auch der namensgebende Nonnensee selbst zu dem spektakulären Artenreichtum auf den umliegenden Flächen bei. Der von zahlreichen Wasservögeln gesäumte See stellt einen atemberaubenden Anblick mit einer wahrlich beeindruckenden Geräuschkulisse dar. Durch die unmittelbare Nähe zu diesem Wasserkörper, trifft man auf zahlreiche Libellen in den Offenlandflächen und wird immer mal wieder von Kormoranen und Möwen überflogen.

Mit dem Entzug von 17 ha (0,34%) ihres über 5000 ha umfassenden Gemeindegebietes aus der intensiven ackerbaulichen Nutzung hat die Stadt Bergen auf Rügen einen bedeutenden Beitrag zur Förderung und zum Erhalt der Kulturlandschaft geleistet. Eine solch zielorientierte und nachhaltige Kombination von landschaftsgebundener Nutzung und Artenvielfalt ist natürlich nicht auf allen Offenlandflächen möglich, aber für einen nachhaltigen Effekt benötigt es auch gar nicht gewaltige Flächenanteile. Wenn jede Gemeinde, die Kirche, das Land sowie der Bund im Rahmen eines breiten, nachhaltigen Landnutzungskonzeptes und unter Beachtung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Faktoren nur einen Bruchteil ihrer Flächen extensivieren würde, können die regionale Biodiversität, die ökologischen Ziele und vor allem die einzigartige Kulturlandschaft Mecklenburg-Vorpommerns langfristig erhalten werden.

Dies kann gelingen, wenn die Bewirtschafter dieser Flächen als Partner mit einbezogen werden, wenn ihre ökologischen Leistungen belohnt werden sowie wenn eine Vertrauenskultur zu den Nutzern des ländlichen Raumes praktiziert wird und sie nicht durch Vorgaben, Bestimmungen und Auflagen eingezwängt werden. Den Generationen vor uns ist es zu verdanken, dass unsere Kulturlandschaft durch deren Tun und Handeln ein Hotspot der Artenvielfalt und des Lebens war.

Die Einzigartigkeit dieser Flächen führen uns die mögliche Arten-, Habitat- und Strukturvielfalt unserer Kulturlandschaft vor Augen. Als beliebtes Ziel für Schulklassen und Wanderbegeisterte zieht der Pfad alle Altersklassen in seinen Bann und bietet auch bei mehrmaligem Besuch immer neue Eindrücke. Die Flächen um den Nonnensee zeigen eindrucksvoll ein gelungenes vielschichtiges sowie fortschrittliches Gesamtkonzept, welches einen positiven Beitrag zur Umweltbildung leistet, die Belange des Naturschutzes mit einer attraktiven, aktiven Erholungsnutzung vereint und einen Mehrwert für die Artenvielfalt schafft.